Anregungen zu einer sich selbst reflektierenden elterlichen Erziehung
Eine Sammlung von Inspirationen und Motiven
Vorabversion (c) 6.12.2000/14.02.2001/30.04.2001/3.10.2002
Ein Mensch entsteht und gedeiht
Historische und autobiographische Grundlagen
"Katalysation" von Konvergenzprozessen
- Spuren der kindlichen Lebensgeschichte
- Identifikation und Abgrenzung
- Respektierenswerte Leistungen eines Kindes
- Besondere Vollmachten und ihre Grenzen
Viele Mütter und Väter kennen noch dieses Gefühl der unbeschreiblichen Freude, die es bedeuten kann, ein Kind zu erwarten. Für manche ist es, als finge das Leben gerade erst wirklich an. Andere wiederum werden durchaus auch gelegentlich bedauern, nicht mehr selber Kind sein zu dürfen. Doch sind diese Zweifel letztlich unerheblich, wenn sich doch die Möglichkeit bietet, eine komplette Kindheit, das Heranwachsen eines Menschen, die Ausprägung seiner Eigenschaften und Talente begleitend noch einmal erleben zu dürfen.
Wie viele berufstätige Väter erinnern sich nicht noch an diese kaum greifbare Sehnsucht bei Schichtende, endlich den neugeborenen eigenen Sproß wieder zu sehen? Während das vorübergehend nur mit dem Kind beschäftigte Elternteil den ganzen Tag lang das sinnstiftende Gefühl spüren durfte, gebraucht zu werden wie niemals bisher im Leben.
Für ein paar Monate passiert
jede Woche etwas Bahnbrechendes, was die Eltern in etwa so in
Begeisterung versetzen kann wie vielleicht sonst nur die
Meisterschaft des Lieblingsvereines, ein sechsstelliger
Lottogewinn oder ein (erwünschter) Heiratsantrag:
Die Sprachentwicklung vom ersten Phonem über dessen erste
deterministische Aussprache, der spätere Trend zu Zweitvokal und
irgendwann gar Zehnkonsonant bis hin zu immer variableren
Satzaussagen, die nicht einmal frei von Grammatik sein müssen,
was vielleicht irgendwann durch das erste Spontansonett seinen
vorübergehenden Höhepunkt findet;
der Fortschritt der Motorik vom instinktiven Greifen über das
erste selbständige Umdrehen, das Gehenlernen bis hin zum ersten
Jonglieren mit vier Bällen oder zum ersten Salto rückwärts.
Auch in den Jahren danach haben sicher noch viele ebenso bewegende wie unersetzliche Erinnerungen ihren Ursprung. Manchmal werden sie allerdings von Konflikten zwischen Eltern und Kind überschattet, die oft all diese Erinnerungen vergessen lassen. Oder die Entwicklung des Kindes gibt Anlaß zu der These, es sei "was schief gelaufen".
Wenn die Eltern eines Zehnjährigen an ihrem Kind verzweifeln, die Mutter einer Sechzehnjährigen das Gefühl hat, ihr nicht mehr helfen zu können oder ein erwachsener Mensch den Kontakt zu seinen Eltern und Geschwistern abbricht:
Haben die Eltern dann versagt?
Ist ein solcher Zustand manchmal unabänderlich oder wäre er bestenfalls Jahre früher zu beheben gewesen?
Freunde des erhobenen Zeigefingers, denen die Gnade zuteil geworden ist, diese Zustände nie erleben zu müssen, werden hier sicher viele sinnstiftende Weisheiten parat haben - bis sie diese vielleicht eines Tages selber ad absurdum geführt haben werden.
In Wahrheit dürften die Antworten viel individueller und vielschichtiger ausfallen. Nicht zuletzt hat jede Eigenheit eines Erziehers eine Wurzel, die älter ist als er selbst. Was wunder, daß das auch bei seinen Erziehungskonzepten, vom unbewußten Affekt bis hin zum ausgearbeiteten Regelsystem, der Fall ist.
Will man diese Mechanismen verstehen, kommt man weder an der Biografie des Erziehers noch an der Geschichte der Erziehung in unserem Kulturkreis vorbei.
Generationen von Eltern haben die Erziehung ihrer Kinder im wesentlichen nach Maßstäben und Methoden ausgerichtet, nach denen sie selber erzogen worden waren. Verschwendet man keine tiefergehenden Gedanken auf die Erziehung seiner Kinder, wird man auch heute noch in weiten Teilen diesem Prinzip folgen.
Eltern, die sich zum Wohle ihrer Kinder im vorhinein selbständig Gedanken machen, welche Erziehung wohl die angemessenste sei, werden hingegen zunächst eigene Erfahrungen in den Vordergrund stellen und ihre Kinder so zu erziehen versuchen, wie sie selbst hätten erzogen worden sein wollen.
Meistens wird sich aber auch in diesem Falle eine Mischung aus beiden Prinzipien einstellen, und die Eltern merken oft nicht, welche Verhaltensweisen und Methoden sie - entgegen den eigenen Vorsätzen - unreflektiert von den eigenen Eltern übernehmen.
Bleibt noch eine dritte Instanz: die im zwanzigsten Jahrhundert florierende, sehr schlüssige Konzepte bereit haltende Erziehungswissenschaft. In den letzten Jahrzehnten haben Begriffe und Konzepte der Pädagogik auch in Haushalte Einzug gefunden, in denen kein einziger Lehrstuhlinhaber dieses Fachgebietes wohnhaft ist.
Natürlich ist es nicht von Nachteil, an den vielschichtigen Erkenntnissen der Gelehrten teilzuhaben. Dennoch werden Vater und Mutter niemals die Konzepte der Wissenschaftler ganzheitlich und 1:1 aufnehmen können. Denn weder werden sie ihre eigene Lebensgeschichte und deren Routinen auf einen Schlag abstreifen können, noch wird es ihnen per Vorsatz gelingen, über die gesamte Erziehungszeit eine jederzeit objektive, lehrbuchgerechte perfekte Erzieherrolle zu spielen. Werden sie doch - was letztlich wohl nicht einmal zu bedauern ist - aller Voraussicht nach authentische Personen bleiben.
Ein Erzieher, umso mehr auch ein Vater oder eine Mutter, ist immer ein Mensch mit eigenen Bedürfnissen, dessen Entwicklung sicherlich nicht vollends abgeschlossen ist. Überdies hat er aller Voraussicht nach noch nicht sämtliche Ereignisse und Gegebenheiten, die ihn menschlich und charakterlich geprägt haben, verarbeitet und reflektiert. Daher erscheint der hohe Anspruch, aus intellektueller (pädagogischer) Überzeugung eigene Stimmungen vollkommen zu unterdrücken, fragwürdig.
Ein gewisses Maß an eigener Zufriedenheit des Erziehers dürfte schließlich notwendige Bedingung dafür sein, daß er seine Aufgabe überhaupt gewissenhaft ausführen kann. Es kann daher mitunter einem Kind eher schaden als nützen, wenn seine Eltern ihre eigenen Bedürfnisse vernachlässigen und ihren Ärger immerzu in sich hineinfressen. Denn ihre Aggressionen werden sich kaum ohne weiteres in Luft auflösen.
Letztlich werden die Frustrationen des Erziehers nur zu leicht in latentem Unmut enden, der die angestrebte Qualität der Erziehung stärker beeinträchtigen kann als einzelne Verstöße gegen selbst auferlegte Regeln.
Erziehende Eltern können dieser Problematik entgegenwirken, indem sie längerfristig ihre eigenen Empfindungen und deren Ursachen "überarbeiten". Indem sie also aktuelle Konfliktsituationen mit ihrem Kind hintergründiger zu analysieren versuchen, zum Konfliktzeitpunkt bestehende Erwartungen kritisch hinterfragen und diese schließlich mit den Möglichkeiten und Bedürfnissen des Kindes vergleichen. Das mag sich zunächst nach abstrakter Geistesarbeit anhören, dürfte sich indes im Idealfalle nur zu einem kaum merklichen Begleitmechanismus entwickeln, der sehr viel mit Empathie zu tun hat. Oftmals erscheinen die Antworten wie von selbst über die Wochen hinweg, wenn man nur die richtigen Fragen gestellt hat.
Finden die gewonnenen Erkenntnisse irgendwann dann Einzug ins Bewußtsein - und damit letztlich ins familieninterne "Weltbild", kann bereits das dafür Bedingungen schaffen, daß die gleiche Konfliktsituation in der Form künftig nicht mehr so leicht stattfinden kann oder zumindest weniger Frust beim Erzieher mit sich bringt.
Hat etwa ein Kind scheinbar Erwartungen enttäuscht, die man zu den Minimalerwartungen zu zählen geneigt ist - ob es nun "gelogen" oder gestohlen hat oder auch nur verbindliche Vereinbarungen verletzt - so wird man diese Erwartung für den Moment wohl kaum aufrechterhalten können. Zweckmäßig wäre es hier wohl eher, nach Gründen dafür zu suchen und Möglichkeiten zu ersinnen, wie man Bedingungen schaffen könnte, die es zumindest künftig ermöglichen, dem Kind sein eigenes Anliegen näher zu bringen. Und diese Bedingungen sind ja allem Anschein nach noch nicht erfüllt gewesen.
Auch die Erwartungen, die Eltern an sich selbst als Erzieher stellen und die Prinzipien, die sie in der Erziehung für gut und richtig erachten, sollte man immer wieder kritisch mit seinen tatsächlichen Möglichkeiten als unvollkommenen, mitunter sogar befangenen Menschen in Relation setzen. Und die Vorsätze - zumindest vorläufig - um das reduzieren, was im Moment offenbar nicht erfüllbar ist.
Vielleicht kann man den ursprünglichen Vorsätzen ja doch irgendwann einmal gerecht werden - wenn man sich einst die Voraussetzungen hierfür erarbeitet und "anerzogen" hat.
Es wird ohnehin nie ganz ausbleiben, daß Eltern gelegentlich gegen ihre eigenen Vorsätze verstoßen. Und dieses sollte ebensowenig Grund sein, den Vorsatz an sich zu verwerfen, wie es Anlaß böte, den Verstoß zu ignorieren oder unreflektiert als Lebensrealität hinzunehmen. Oder gar sich selbst zu verachten.
"Rutscht" etwa einem vom Ideal gewaltfreier Erziehung überzeugten Vater doch einmal "die Hand aus", so kann gerade die authentische Aufarbeitung des Vorfalles im Dialog mit dem Kind für beide eine Bereicherung darstellen.
Und der Vater kann schließlich mit überarbeiteter Einstellung neu in die Erziehung einsteigen.
Erziehung soll Konvergenzprozesse beim Kind wie Selbstfindung, Findung von Zielen und Lebensinhalten und die Ausprägung von (positiven) Eigenschaften und weltanschaulichem Fundament fördern und mitunter beschleunigen. Dabei ist wohl anzunehmen, daß es mehrere mehr oder weniger stabile Richtungen gibt, in die sich ein Kind entwickeln kann, und für jede dieser Richtungen unzählige mögliche, dorthin zu beschreitende Wege.
Geht man überdies davon aus, daß der junge Mensch bereits einige Mechanismen in sich trägt, die die Entwicklung einer möglichst erfolgsversprechenden Zielrichtung optimierend fördern - und dafür spricht aus teleologischer Sicht einiges - so kann es der Erzieher als seine Hauptaufgabe ansehen, diese Mechanismen durch eigene, weitergehende Erfahrungen sinnvoll zu ergänzen und unterstützen, ohne sich mehr als notwendig in das Zielprodukt einzubauen. Erziehen heißt dann viel eher, eine selbstangetriebene Entwicklung zu katalysieren, als etwas zu "formen" oder gar zu "produzieren".
Ein Konvergenzvorgang, d.h. der Prozess der Annäherung an eine Zielausrichtung, ist im wesentlichen gekennzeichnet durch das Ziel sowie Art und Geschwindigkeit der Annäherung an dieses Ziel.
In der Entwicklung ihres Kindes haben Eltern einen maßgeblichen Einfluß auf alle diese Größen, allerdings sicher nie unmittelbar. Schließlich werden unzählige Faktoren vom Kind selbst kommen. Und auch die äußeren Einflüsse, die die Entwicklung des Kindes nachhaltig prägen, werden nie auf die Eltern allein beschränkt sein. Nicht zuletzt müssen Zielrichtungen eines Kindes mit dessen Natur und Umwelt vereinbar sein.
Es bleibt den Eltern jedoch, ausgehend vom momentanen Stand des Kindes die "Konvergenzbedingungen" zu beeinflussen. Das kann im Idealfalle heißen, das Kind genau durch die Impulse anzuregen, die es ihm ermöglichen, seine Ziele in eine noch sinnvollere Richtung zu modifizieren. Oder dem Kind genau die Hilfen und Informationen anzubieten, die eine Annäherung an das Ziel beschleunigen.
Stellen wir uns als Beispiel ein Kind vor, das an fehlenden Erfolgserlebnisse im Fußballspielen leidet.
Ein unbedarfter Vater könnte ihm ganz einfach vorschlagen, auf Judo umzusatteln oder aber ihm vormachen, wie er selbst den Ball führen und schießen würde.
Das aber hieße, das Ergebnis von Abwägungen und Erfahrungen vorwegzunehmen, die das Kind noch gar nicht durchlebt hat. Und es ist nicht anzunehmen, daß der Vater damit auch nur annähernd die inneren Konflikte seines Sohnes auflöste.
Viel produktiver kann es da sein, wenn der Vater seinem Sohn durch die richtigen Anregungen hilft, sich genauer über die eigenen Talente und Interessen klarzuwerden. Was schließlich dazu führen kann, daß der Sohn aus eigenem Antrieb zu einer Sportart wechselt, die ihm eher liegt. Oder aber der Vater führt seinen Sohn durch die richtigen Hinweise auf dessen Fehler in der Fußhaltung hin und hilft ihm spielerisch, diese Schwäche auszumerzen.
Und der Sohn hätte somit nicht nur ein aktuelles Problem bewältigt, sondern vielleicht sogar allgemein dazugelernt, wie man auf Probleme zugeht, um auf Dauer akzeptable Lösungen zu finden.
Ein Kind hilfreich zu begleiten, heißt letztlich viel eher, ihm beim Finden von Lösungen zu unterstützen, als ihm diese Lösungen in geschlossener Form anzubieten.
In den Lernvorgängen, die ein Kind durchlebt, ist nur zu oft der Weg das Ziel.
Das Maß an Einfluß, das Eltern in der Erziehung ihrer Kinder sinnvollerweise ausüben sollten, wird wohl nicht zuletzt davon abhängig sein, was tatsächlich als unumgänglich anzusehen ist. Und dieses notwendige Maß wird von Kind zu Kind sehr verschieden sein. So gibt es größere Kinder, die man weitgehend sich selbst überlassen kann ebenso wie solche, die einer intensiveren Betreuung bedürfen.
Eine erste anspruchsvollere Aufgabe der Erziehung kann es daher sein, herauszufinden, wo und in welcher Form Einfluß überhaupt geltend gemacht werden muß. Zumal ein Kind unsere Einflüsse ja nicht völlig autonom reflektieren und einschätzen kann. Dabei sollten wir uns vor Augen halten: ein gleichberechtigter Freund hat in der Regel die Möglichkeit, unsere Ratschläge angemessen zu überprüfen und in Frage zu stellen, Und dabei uns und unsere Kompetenz für das Thema mit Abstand zu betrachten und einzuschätzen. Unser Kind hingegen muß diesen Abstand vielleicht ja erst noch erlernen.
Man wird nie sicher voraussagen können, welche konkreten Auswirkungen eine Erziehungsmaßnahme letztlich haben wird. Man kann jedoch die Erfolgsaussichten, ein Erziehungsziel zu erreichen, möglicherweise deutlich steigern, indem man das Konzept, das zu diesem Ziel führen soll, flexibel läßt und immer wieder aktuelle Beobachtungen zurate zieht.
Die Qualität einer Erziehungsmaßnahme mißt sich schließlich nicht an der Schlüssigkeit des zugrunde liegenden Konzeptes, sondern an ihrem tatsächlichen Erfolg. Und der ist in starkem Maße vom Zugang, den die Maßnahme zum Kind findet, abhängig und damit vom Kind selbst und seiner Lebensgeschichte.
In einem Kind, wie wir es aktuell beobachten können, haben unzählige Personen und Ereignisse Spuren hinterlassen - Spuren, die sich auf jede Motivation, Handlung oder Reaktion des Kindes spürbar auswirken können. Das Kind könnte im einfachsten Falle etwa Angst vor Hunden haben, bestimmte Träume immer wieder träumen oder von bestimmten Figuren oder Idealen fasziniert sein.
Es könnte allerdings sogar sein, daß sich ein Kind durch uns unbekannte, prägende Erlebnisse falsche logische oder motorische Regeln angeeignet hat. Oder gar bedenkliche moralisch-weltanschauliche "Einsichten".
Die ursächlichen Ereignisse, die eine Spur nach sich gezogen haben, bleiben uns oft verborgen. Von der beim Kind hinterlassenen Spur werden wir indes einiges erkennen können, wenn wir nur aufmerksam genug beobachten. Jede für uns überraschende Handlung unseres Kindes können wir zum Anlaß nehmen, weiter nachzufragen, um letztlich vielleicht das Kind noch besser kennenzulernen.
Schließlich gilt es auch, Wesenszüge zu entdecken, die unlängst vielleicht noch gar nicht ausgeprägt waren. Und da, wo ein Wesenszug noch in Entwicklung ist, sind unsere Möglichkeiten als Erzieher, zu bestärken oder entgegenzusteuern, besonders günstig.
Neuere Beobachtungen können uns nicht zuletzt oft auch nachträglich erklären, warum eine an sich so durchdachte Erziehungsmaßnahme einst nicht gefruchtet hat oder eine andere, ursprünglich erfolgreiche Maßnahme plötzlich nicht mehr anzukommen scheint.
Und eine solche Erkenntnis dürfte für unsere späteren Erziehungsversuche nicht ohne Auswirkung bleiben.
Eine erzieherische Maßnahme kann schließlich nur so gut sein, wie sie zum Kind paßt, ihm aktuell gerecht wird. Und in Anbetracht der rasanten und nicht immer schlüssig zielgerichteten Entwicklung eines Kindes können sich diese Werte jederzeit schnell ändern.
Nicht ganz unangezeigt erscheint es daher für den Erzieher, jede erzieherische Maßnahme - und letztlich Methoden und Ziele der Erziehung generell - ständig in Wechselwirkung mit dem Kind zu überarbeiten.
Und so parallel zur Kindeserziehung die eigenen Qualitäten als Erzieher zu optimieren.
.Vater und Mutter werden sich (und ihre bisherige Erziehung) in der Regel in diversen Wesenszügen ihres Kindes wiederfinden.
Viel wichtiger kann es allerdings nur zu oft für die Eltern sein, festzustellen, wo sie sich nicht wiederfinden können. Und für Situationen, die sie nicht aus eigener Lebenserfahrung kennen, nach Lösungen zu suchen.
Ein nicht unbedeutender Faktor, der das Verständnis zwischen Eltern und Kind erschwert, kann ganz einfach in den verschiedenen zeitlichen Epochen liegen, in denen beide Generationen sozialisiert wurden bzw. werden. Denn viele Erwartungen und Wertungen eines Erwachsenen sind stark davon geprägt, wie er als Kind die Phase erlebt hat, die sein Kind gerade zu durchleben scheint - unter zum Teil völlig anderen Umständen.
Unmittelbare Nachkriegskinder kannten z.B. oft weder modisches Markenbewußtsein noch Widerspruch gegenüber Autoritäten. Sie kennen vielleicht noch Lehrer, die uneingeschränkte Autorität genießen und gegebenenfalls auch einmal den Rohrstock bemühen, nicht jedoch solche, die mangels dieser Privilegien andere Ventile suchen müssen, wenn sie sich überfordert fühlen oder zuwenig respektiert. Und mit dieser Situation umgehen zu lernen kann für Vater und Mutter genauso Neuland bedeuten wie für das Kind.
Der lebensweltliche Unterschied zwischen den jetzt erziehenden Eltern und ihren Kindern erscheint da zunächst vergleichsweise klein, doch sollte man sich nicht täuschen lassen: Allein schon der indirekte Mobilitätszuwachs durch Handy, Internet und Medien - in den die jetzige Elterngeneration gemächlich hineinwachsen konnte - erzeugt bei dem, der es von Anfang an als bestehende Normalität begreifen mußte (wie seine Eltern den privaten PKW), eine ganz andere Gewichtung von Präferenzen.
Sehr oft sind nicht reflektierte Unterschiede in der Anlage ursächlich dafür, daß Eltern sich nur unzureichend in ihr Kind hineinversetzen und es deshalb nur zu leicht falsch beraten. Eine immer schon ohne Mühe schlank gewesene Mutter wird es wohl erst noch lernen müssen, sich in ihre zu mehr Leibesfülle tendierende Tochter und die daraus erwachsenden Probleme, hineinzuversetzen.
Zuletzt sei schließlich darauf hingewiesen, daß die meisten Konfliktsituationen (oder gar Traumata) eines Menschen zu hohen Anteilen von Zufällen abhängen. Um ein Extrembeispiel zu nennen: Selbst eineiige Zwillingsschwestern werden, wie ein jeder einsehen wird, in manchen Situationen verschiedene Sensibilitäten und Temperamente entwickeln, wenn die eine Schwester einmal vergewaltigt worden ist, die andere jedoch nicht.
Gehen wir einmal, um nicht gleich das Schlimmste anzunehmen, davon aus, daß die traumatischen Erlebnisse unserer Kinder weniger drastisch ausfallen: Auch dann werden uns diese möglicherweise gar nicht bekannt sein. Und selbst wenn doch, so sind uns die Erlebnisse ja nicht unbedingt aus eigener Erfahrung vertraut.
Berücksichtigt man alle diese Überlegungen, kann man letztlich sogar zu der Erkenntnis kommen, daß die Erforschung seines Kindes deutlich mehr Beschäftigung des Erziehers erfordert als das konkrete Herausfinden von angemessenen und erfolgsversprechenden Erziehungsmaßnahmen. Denn wenn man erst einmal eine Problemstellung in seiner ganzen Tiefe kennt, wird sich die Anzahl der möglichen Lösungsansätze sicher schon merklich reduziert haben. Und sich gelegentlich sogar bereits die passende Erziehungsmaßnahme von selbst aufdrängen.
Während man in anderen Fällen vielleicht feststellen muß, daß man noch weit davon entfernt ist, den Königsweg gefunden zu haben. Und eben weitersuchen und -beobachten muß.
Ein festgeschriebenes Konzept wird den Anforderungen eines Kindes wohl kaum Genüge leisten können. - Erziehung wird immer zu einem gewissen Anteil Improvisation sein.
Da versteht es sich von selbst, die Erziehungsziele so weit wie möglich für spätere Modifikationen offen zu lassen. Adäquate Ziele zu finden bleibt letztlich auch ein langfristiges Ziel der Erziehung selbst.
Nicht zuletzt sollten sie abhängig davon sein, wozu das Kind überhaupt motiviert werden kann.
So manches Ziel eines Menschen begründet sich allein schon durch Sachzwänge und materielle Begebenheiten. Doch auch dieses wird er besser und schneller erreichen können, wenn er einen inneren Antrieb dazu verspürt. Innerlich motivierte Menschen erreichen mehr in kürzerer Zeit bei besserem Wohlbefinden.
Versuchen Eltern, ihr Kind auf ein zweifelsohne erstrebenswertes Ziel hin zu motivieren, laufen sie allerdings Gefahr, den Motivationsversuch am Adressaten - also am Kind - vorbeizuschießen.
Viele Eltern versuchen so zum Beispiel, ihr Kind allein mit dem Hinweis auf bessere spätere Berufsperspektiven zum Lernen (oder zu mehr Aufmerksamkeit in der Schule) zu motivieren. Das aber dürfte in der Regel dem Kind zu abstrakt und zu weit hergeholt erscheinen - obwohl die Begründung ja logisch kaum anfechtbar ist.
Ratsamer erscheint es da, das Kind und seine bestehenden Antriebe und Interessen stärker einzubeziehen.
Ein Kind, zumal ein jüngeres, ist ständig damit beschäftigt, die Welt zu entdecken - nicht allzu speziell. Dabei entwickeln selbst normal begabte Kinder einen Forscherdrang, der den eines Wissenschaftlers übertreffen kann - mit dem Unterschied, daß die Ziele sich in jedem Moment ändern können.
Wer es als Erzieher zumindest partiell schafft, sich in die Forschungsreisen seines Kindes einzufühlen, wird so manchen Impuls geben können, der die Antriebe und Ziele des Kindes kanalisiert. Auch wird er auf lange Sicht den Zugang finden, das Kind zu bereichernden Gedanken und (auch im Sinne des Kindes) wünschenswerten Handlungen zu inspirieren - unter Nutzung bereits vorhandener Motive.
So mancher Vater könnte allein deshalb Probleme verspüren, sein Kind zum Lernen von Mathematik, Englisch oder Rechtschreibung zu motivieren, weil er sich nur zu gut an ähnliche (Motivations-) Probleme aus seiner eigenen Schulzeit erinnern kann. Doch werden ihm vielleicht auch diverse Situationen einfallen, in denen er die daraus erwachsenen Wissenslücken inzwischen schon bereut hat. Vielleicht auch Situationen, in denen er glücklich gewesen ist, solche Lücken schließen zu können.
Schafft er es jetzt noch, sich tief genug in sein Kind hineinzufühlen, gelingt es ihm ja vielleicht sogar, mit diesen Gedanken Zugang zur Lebenswelt seines Kindes zu finden.
Kinder pflegen in der Regel kurzfristiger zu denken, als ihre Eltern es (für sie) tun. Daß Kinder (vorübergehend) auch längerfristigen Visionen nachgehen können, zeigt sich nicht zuletzt bei den (mitunter nicht immer realistischen) Berufsträumen. Und selbst die unrealistischeren dieser Berufsziele (wie Boxer, Astronaut oder gar Papst) können oftmals für das Kind eine durchaus begrüßenswerte Motivation sein, sich neue Wissensgebiete zu erschließen. Auch werden sich in vielen Fällen Zusammenhänge zum Schulwissen herstellen lassen.
Für die Eltern bietet sich aber nicht zuletzt die Möglichkeit, ihrem Kind zu helfen, eigene Erwartungen und Talente kritisch einschätzen zu lernen - wenn sie das Nachgehen dieser Träume angemessen - und auch nicht übertrieben realistisch - moderieren.
Vor hundert Jahren wird ein Landwirt wenig Probleme gehabt haben, seinen ältesten Sohn für den gleichen Beruf zu begeistern - der Generationenvertrag war im wesentlichen familieninterne Sache und stellte letztlich eine unangezweifelte Notwendigkeit dar. Die scheinbare Unfreiheit war, wie zu vermuten ist, dem Sohn wohl nicht einmal bewußt.
Heute indes haben es Eltern deutlich schwerer, ihr Kind etwa für die Übernahme einer Apotheke oder Schreinerei zu begeistern. Eben weil in der Lebenswelt des Kindes Alternativen real existieren.
Für den letztlich eingeschlagenen Weg werden wohl weitergehende Motive eine Rolle spielen. Dabei kommt der (Aus-) Wahl von Vorbildern eine besondere Rolle zu.
Niemand hat in der Regel einen so ganzheitlichen Einfluß auf die Prägung eines Kindes wie dessen Eltern. Es nimmt daher auch nicht wunders aus, daß diese sich zumeist als ganzheitliches Vorbild anzubieten versuchen.
Doch sollte sich hier die Frage stellen, welche Funktionen ein Vorbild tatsächlich ausfüllt und ausfüllen sollte.
Was am Vorbild ist wirklich vorbildlich?
Es kann schwerlich das Ziel eines Vorbildes sein, ein möglichst originalgetreues Abbild seiner selbst zu erzeugen. Weder kann es für ein Individuum auf Dauer Erfüllung sein, auf etwas schon Dagewesenes begrenzt zu werden, noch werden sich Talente und Lebensumstände von Vor- und Nachbild jemals völlig kongruent in Einklang bringen lassen.
Das Resultat könnte so nur zu leicht ein schlechtes Selbstwertgefühl und eine unsichere, dependente Identität sein.
"Mein Vorbild" kann jedoch auch heißen:
Ich hätte bei gleichen persönlichen Möglichkeiten und unter gleichen Umständen in der gleichen Situation gerne auch so gehandelt oder den gleichen Weg eingeschlagen.
Von diesem Zugang ausgehend wird der junge Mensch wahrscheinlich tatsächlich einzelne Eigenschaften und Einstellungen bei seinen Eltern finden, die zu erlangen (oder gar übertreffen) sich fürwahr auch für das "Nachbild" lohnen könnte.
Dabei kann es sogar vorkommen, daß ein Kind sich Qualitäten seiner Eltern zum Vorbild nimmt, derer sich diese noch gar nicht bewußt gewesen sind. Denn so mancher Vater, der sehr stolz auf seine Talente (die dem Kind vielleicht ja gar nicht in die Wiege gelegt sind) und seine (berufliche) Zielstrebigkeit oder seine Prinzipientreue ist, lebt seinem Kind mitunter in vorbildlicher Weise Toleranz oder menschliche Zuverlässigkeit vor, ohne das überhaupt zu merken.
Auf der anderen Seite können Eltern durch die Rückmeldung ihres Kindes oft auch lernen, scheinbar vorbildliche Qualitäten in Frage zu stellen. Und sich dadurch inspiriert Eigenschaften anerziehen, die sie zu noch besseren Vorbildern machen.
Unter der bemerkenswert vorbildlichen Bereitschaft, an sich selbst zu arbeiten.
Daß man seinem Anspruch als Vorbild nicht immer in vollem Maße gerecht werden kann, sollte man indes nicht zu tief bedauern. Schließlich wird jedes Kind im Laufe seines Lebens unzähligen schlechten Vorbildern begegnen. Diese als solche zu erkennen und sich von ihnen abzugrenzen dürfte nicht das verkehrteste sein, was ein Kind lernen kann.
Und auch positive Vorbilder können oft einen viel konstruktiveren Beitrag leisten, wenn sie menschlich erreichbar erscheinen. Verehrt ein Mensch nämlich ein Vorbild als Heiligen oder Übermenschen, so kann er ja von vornherein jeden Anspruch an sich selbst, es dem Vorbild nachzutun, im Keim ersticken und sich auf seine eigene Schwäche berufen.
Und welchen Sinn hat ein Vorbild, dem niemand etwas nachzuleben versucht?
Nur zu gerne und oft bringen sich Eltern in eine Schiedsrichterfunktion - oder lassen sich in eine solche Position bringen. Und entscheiden von scheinbar höherer Warte aus, was nach Maßgabe der Dinge gut und richtig ist. Und eben auch, welchen moralischen Grundsätzen zu folgen ist. Und gerade hier ist besondere Vorsicht geboten.
Kinder erlernen Moral nämlich in der Regel implizit durch das, was ihnen vorgelebt wird und das, was sie über eigene Empfindungen und Erfahrungen nachvollziehen können. Explizit übermittelte Moralansprüche müssen daher zum einen für das Kind erlebbar sein; zum anderen aber müssen sie mit dem vereinbar sein, was der Übermittler dieser Ansprüche vorlebt.
Schließlich müssen auf lange Sicht die moralischen Ansprüche, die sich ein Kind nach und nach zu eigen macht, individuell realistisch und erfüllbar sein. Starke Diskrepanzen zwischen eigenem Anspruch und realem Handeln würden nämlich auf Dauer zu Problemen führen, sich selbst treu und letztlich seiner selbst bewußt zu werden.
Daß dieses offenbar sehr leicht eintreten kann, können wir uns schon am einfachen Beispiel eines Sportlers klarmachen, der den Anspruch hat, immer Erster zu werden, tatsächlich jedoch immer nur zweite und dritte Plätze belegt. Wo andere zu Recht stolz auf das Erreichte wären, muß er mit dem ständigen Manko leben, hinter den Erwartungen zurück zu bleiben.
Doch immerhin: Der Anspruch in diesem Beispiel läßt sich sehr einfach formal nach unten korrigieren.
Ist allerdings ein Anspruch schon als solcher viel schwieriger konkret zu fassen als im vorherigen Beispiel; ist er mitunter gar nur durch moralistisch-weltanschauliche Worthülsen geprägt, so ist die Korrektur oft kaum vom Kind selber erbringbar.
Wie kann der große Bruder eines gerade bedrohten Kindes dem Anspruch "Helfe Deinem kleinen Bruder" gerecht werden, wenn er selber durch Angst blockiert ist? Durch eine Angst übrigens, die schwer zu reflektieren und abzubauen sein wird, weil sie ja mit dem Verletzen von Ansprüchen assoziiert ist, was jeder Tendenz zur Verdrängung Tür und Tor öffnet.
Vor allem aber: Wie kann er den Selbstvorwürfen in Zukunft entkommen, wenn der ursächliche Anspruch seinen aktuellen Möglichkeiten scheinbar nicht Rechnung trägt?
Mangelhafte Selbstachtung läßt da nicht lange auf sich warten. Vor allem, wenn die "Vorbilder" den Eindruck zu erwecken versuchen, ihnen selber sei ein solcher Zustand unbekannt.
In bereichernder Weise vorbildlich kann es da mitunter auch sein, Wissenslücken zuzugeben und Fehler einzugestehen. Und sich selbst auch einmal mit Abstand und Ironie nicht unangemessen ernst zu nehmen.
Schließlich möchte kaum jemand seinem Kind nahelegen, sich immerzu an Konflikten vorbeizumogeln oder sich ständig übertrieben stark mit dem eigenen Ego auseinanderzusetzen.
Manchmal werden Eltern erst durch ihr Kind auf weitere Vorbilder aufmerksam, die diese Funktion, wie sich herausstellt, zu Recht ausüben. Und dabei sogar die Eltern inspirieren könnten. Von Nachteil dürfte das nicht sein:
Je mehr Vorbilder ein Kind inspirieren, desto ausgewogener und sicherer dürfte sich schließlich sein späteres Fundament entwickeln.
Und die wahren Vorbilder sind wohl die, die sich ein mündiger Mensch aus freien Stücken für einen eingegrenzten Bereich selbständig nimmt.
Weite Anteile und Gepflogenheiten der besonderen und nicht in jeder Hinsicht symmetrischen Beziehung zwischen Eltern und Kind erhalten sich oftmals bis ins höhere Alter (des Kindes). Da es aber weder erstrebenswert noch (in der Regel) physisch möglich erscheint, daß Eltern ihre ursprüngliche Funktion bis zum Ableben ihres Kindes ausfüllen, ist es nicht ganz verkehrt, tiefergehende, mitunter traumatische Konflikte zwischen beiden Parteien beizeiten aufzuarbeiten. Vor allem aber wäre es wohl begrüßenswert, wenn Eltern mit fortlaufender Erziehungsdauer mehr und mehr die Tendenz abzubauen versuchten, allzu stark auf Entscheidungen ihres Kindes einzuwirken - oder ihm diese sogar abzunehmen.
Schließlich wird ein Kind bereits im Grundschulalter zahlreiche Entscheidungen treffen, auf die wir Erwachsenen wenig oder gar keinen Einfluß haben; von denen wir sogar oftmals nicht einmal Kenntnis erlangen.
Schon das Kennenlernen gleichaltriger Freunde findet ja in der Regel nicht vor unseren Augen statt. Die Auswahl der Freunde, die Klärung der einzelnen Rollen, die diese für unsere Kinder spielen und schließlich die gemeinsamen Freizeitaktivitäten werden wir wohl höchstens teilweise beobachten und moderieren können.
Spätestens jedoch die Entscheidung, einem wenig kinderfreundlichen Zeitgenossen Lehmklumpen an die Scheibe zu werfen oder mangels Lust einzelne Schulaufgaben zu ignorieren, wird ein Kind zumeist ohne Hinzuziehung der eigenen Eltern fällen.
Unser Kind wird uns dennoch immer wieder wissen lassen, wo es unsere Entscheidungshilfe braucht. Oder zumindest Anzeichen dafür geben. Und selbst in Entscheidungen, die das Kind scheinbar autonom während unserer Abwesenheit fällt, dürfte sich viel von dem wiederfinden, was wir an anderer Stelle angeregt und vorgelebt haben - nur eben nicht unbedingt immer das, was wir an der Stelle gerne berücksichtigt wüßten.
Ihren Sinn haben die Situationen, in denen unser Kind autonom Entscheidungen fällt, indes auf jeden Fall. Denn nur so kann ein Kind nach und nach lernen, Verantwortung zu übernehmen und ein Eigenbewußtsein entwickeln. Außerdem lassen sich viele Fehleinschätzungen erst dadurch erkennen, daß man durch die Folgen daraus resultierender Fehlentscheidungen auf sie gestoßen wird. Und diese Erkenntnis dürfte uns auch noch aus dem Erwachsenenalter vertraut sein.
Ein langfristiges Ziel der Erziehung kann so die Selbständigkeit und Mündigkeit von Entscheidungen sein.
Die Rolle, die den Eltern im früheren Stadium des Kindes zukommt, wird dadurch umso anspruchsvoller und muß mit umso mehr Augenmaß ausgefüllt werden:
Eltern beeinflussen "Konvergenzbedingungen", indem sie mögliche Begründungen inspirieren, entscheidende Impulse geben und bei der Gewichtung von Aspekten helfen.
So schwer es auch fallen mag: Sind die vorgebrachten Argumente und Hinweise offenbar beim Kind angekommen, täten Eltern oft gut daran, sich weitgehend zurückzuziehen - auch auf die Gefahr einer (reparablen) Fehlentscheidung hin.
Die Ratschläge werden im Lernprozeß schon noch Niederschlag finden - sofern sie Ratschläge bleiben und nicht zu Dogmen werden.
Es kommt schließlich nicht von ungefähr, daß kein Computer der Welt je die Entscheidungskompetenz eines mündigen Menschen erlangen kann!
Offenbar liegt ein wesentlicher Teil der Qualität eines Menschen darin, daß er selber Maßstäbe entwickeln, prüfen und optimieren kann. Wer diesem Faktum Rechnung tragen will, wird sich daher bemühen, seine Erwartungen als Erzieher weitestmöglich an den Ansprüchen seines Kindes festzumachen - deren Entwicklung und Formulierung er ja moderiert haben kann.
Und diese Ansprüche werden in der Regel nicht unbedingt gering sein.
Nur, wenn das Kind die ihm gestellten Ansprüche empfinden und erfüllen kann, hat es die Möglichkeit, sich selbst treu zu sein. Und letztlich im eigentlichen Sinne selbstbewußt. Und der selbstbewußte Mensch hat ungleich bessere Möglichkeiten, moralisch, barmherzig und rücksichtsvoll zu handeln.
Liegen die Ansprüche, denen ein Mensch zu genügen versucht, hingegen außerhalb seiner Person - treibt ihn etwa immerzu das Gefühl, seinen Eltern etwas schuldig zu sein - so kann das langwierige (bis immerwährende) Zwänge zur Folge haben, die seine Effizienz behindern, das Lebensgefühl mindern und seiner Selbstverwirklichung auf Dauer im Wege stehen.
Die meisten Väter und Mütter werden, wenn sie kurz nachdenken, sich erinnern können:
Nicht jede Richtung, die sie einst eingeschlagen haben, haben sie sich völlig autonom und freiwillig ausgesucht. Selbst so fundamentale Entscheidungen wie Berufs- und Partnerwahl sind oftmals von Einflüssen geprägt worden, die außerhalb der eigenen Person liegen.
Man wird jedoch eine solche Entscheidung auch im nachhinein für richtig befinden können, wenn die Entscheidung nach genauer Abwägung durch nicht zu umgehende Sachzwänge und tatsächliche Notwendigkeiten begründet gewesen ist. Umso besser dann, wenn man es selber gewesen ist, der diese Abwägung ursprünglich getroffen hat.
Ein Tierhaarallergiker kann jederzeit nachvollziehen, warum er nicht Tierarzt oder -pfleger geworden ist. Und selbst eine Frau, die schon mit neunzehn Jahren dreifache Mutter war, wird letztlich unter Berücksichtigung der damaligen Umstände nicht unbedingt bereuen müssen, nicht studiert zu haben.
Oft muß ein erwachsener Mensch jedoch feststellen, daß er die Argumente, die einst eine Entscheidung bedingt haben, gar nicht bewußt abgewogen hat. Und er entdeckt vielleicht, daß seine Entscheidung letztlich dem gefolgt ist, was seine Eltern von ihm erwartet haben - sogar dann, wenn die Eltern sich damals gar nicht zu Wort gemeldet haben.
Verwundern sollte das indes niemanden.
Ein Kind ist - vor allem in jüngeren Jahren - stark abhängig vom elterlichen Zuspruch. Und bezieht daraus wohl auch sein erstes Selbstwertgefühl.
Lernt das Kind nicht, diese Abhängigkeit nach und nach durch ein autonomes Selbstbewußtsein zu ersetzen, so wird es letztlich auch da nach Anzeichen für elterliche Zustimmung oder Ablehnung suchen, wo die Eltern sich gar nicht explizit äußern.
Den Eltern ist dieses Phänomen zunächst oft wohl gar nicht einmal unrecht und sie könnten nur zu leicht in Versuchung kommen,. den Mechanismus auch noch durch nonverbale Kommunikation über Gestik und Mimik zu unterstützen.
Ein Kind wird jedoch auch im obigen Falle nicht immer das tun, was seine Eltern von ihm verlangen. Der Unterschied zu der weniger subtilen Verbot-Strafe-Situation ist nur der, daß sich das Kind selbst bestraft - durch Schuldgefühle.
Die inneren Zwänge indes, die dem jungen Menschen immer wieder mitzuteilen scheinen, was man von ihm erwarten könne, werden in solchen Fällen oft bestehen bleiben. Und sie können dem Betroffenen auch da noch ein schlechtes Gewissen machen, wo er nach Abwägung aller Umstände eigentlich zufrieden mit sich sein sollte.
Wie soll man sich auch einer Instanz entziehen, die die Autorität einer höhergestellten Person genießt, als irreale Figur jedoch weder konkret angreifbar ist noch Milde oder Lernfähigkeit zeigen kann?
Ein mündiger Mensch zu werden kann da unüberwindbar schwierig erscheinen.
Den Eltern bleibt die Alternative, dem dependenten Selbstwertgefühl ihres Kindes entgegenzusteuern und ihm zu helfen, eigene Entscheidungsfähigkeit und autonomes Selbstbewußtsein zu entwickeln. Was für das Kind auch bedeutet, von äußerer Bestätigung und Anerkennung nicht abhängig zu sein: Der selbstbewußte Mensch kann selbst ermessen, wie zufrieden er mit sich ist.
Auf dem Weg zum autonomen Selbstbewußtsein kann ein respektvoller Umgang mit dem Kind sehr hilfreich sein.
Es gibt wohl kaum einen Menschen, der sich nicht wünscht, von anderen Menschen mit Respekt behandelt zu werden. Für manch einen kann dieser Wunsch sogar eine bedeutende Motivation für beruflichen Ehrgeiz sein.
Kaum jemand fragt sich indes, warum er eigentlich, was ja vielerorts der Fall zu sein scheint, von seinen Nachbarn als Ingenieur respektvoller behandelt wird als als Laborant, wenn die berufliche Qualifikation doch im nachbarschaftlichen Verhältnis gar nicht zum Tragen kommt.
Im täglichen Leben gehen oftmals allerdings Menschen miteinander um, die über den "sozialen Stand" des anderen gar nicht informiert sind. Und dennoch scheint der Umgang mit einem Erwachsenen, der etwa nach dem Weg zum Bahnhof fragt, von einem Grundrespekt getragen zu sein - selbst dann, wenn sich der Fragende besonders dumm anstellen sollte.
Vielleicht behandelt man ja den Fremden so, wie man selber in einer vergleichbaren Situation behandelt zu werden wünscht. Merkwürdig erscheint nur, daß die meisten Erwachsenen in einer ähnlichen Situation ihrem eigenen Sohn oder Neffen gegenüber deutlich respektloser auftreten als im Kontakt mit einem Fremden. Verwandtschaftliche Vertrautheit scheint hier einem respektvollen Umgang entgegenzustehen.
Ein Lehrling, der sich bei einer handwerklichen Tätigkeit im Betrieb ungeschickt anstellt, muß nicht selten erleben, wie ihm ein Geselle in demütigender Weise das Werkzeug aus der Hand reißt und die Tätigkeit beinahe wortlos selber ausführt - obwohl er ja auch die Möglichkeit hätte, den Stift geduldig über seine Fehler aufzuklären.
Ist der Lehrling später einmal selber Geselle, sieht man dann nur zu oft, daß er mit einem Auszubildenden genauso umgeht, wie einst mit ihm umgegangen worden ist.
Man könnte meinen, er wolle endlich die Gegenleistung für Demütigungen einholen, die ihm selbst einst widerfahren sind. Dabei hätte er doch nunmehr die Möglichkeit, einen besseren Umgang vorzuleben.
Alles in allem bekommt man den Eindruck, als gehorche bereits menschlicher Grundrespekt zu großen Teilen Gesetzen, die kaum jemand, der sie anwendet, je reflektiert hat.
Es mag ja nicht einmal unangemessen erscheinen, einen bedeutenden Wissenschaftler ganz besonders respektvoll zu behandeln, wenn man ihn über sein Fachgebiet befragt. Ein Grundrespekt sollte indes doch ungeachtet der Lebensleistung einem jeden Menschen entgegengebracht werden.
Ein erwachsener Mensch dürfte in der Regel bei nahezu jedem Erwachsenen seines Umfeldes - sei es Vater, Schwester, Chefin oder Mitarbeiter - Themenbereiche finden, in denen er von ihm lernen kann. Wie sieht es hingegen bei den eigenen Kindern aus?
Ein zehnjähriges Kind wird ohne Zweifel weniger Gebiete finden, in denen es per Vortrag unser Wissen in nennenswerter Weise bereichern kann, als dieses umgekehrt die Regel ist. Doch leistet ein Kind beim Nachvollziehen unserer Erklärungen zumeist erheblich mehr als wir bei deren Verbalisierung.
Darüber hinaus lernen wir in anderer Hinsicht Erhebliches von unseren Kindern:
Die vom Kind aufgeworfenen Fragen zwingen uns, scheinbar klare Zusammenhänge tiefer zu durchleuchten, Ignoranzen zu durchbrechen und wohl auch so manchen für unanfechtbar gehaltenen Glaubenssatz zu verwerfen, dessen löchriges Fundament uns noch gar nicht bewußt geworden ist.
Diese Leistungen aber wird ein junger Mensch nur zu erbringen imstande sein, wenn wir ihm den Grundrespekt entgegenbringen, der es ihm ermöglicht, unbefangen zu (hinter)fragen, selbstbewußt seinen Standpunkt - oder auch nur seine spontanen Gedanken - kundzutun und auch einmal zu widersprechen - ohne daß er Gefahr zu laufen glaubt, auf einer äußeren, scheinbar objektiven Ansehensskala an Boden zu verlieren.
Wenn wir uns darüber hinaus auch nicht scheuen, den tatsächlichen kognitiven Leistungen unseres Kindes - und nicht dem objektivierten Wissensinhalt - Respekt zu zollen, kann das seinen begrüßungswerten Forschungsdrang nur noch fördern.
Und wird wohl auch unser Verhältnis zum Kind noch vertiefen.
Nicht zuletzt helfen wir so auch unserem Kind zu lernen, andere Menschen zu respektieren.
Bei all diesen Gedankengängen, die zumindest mittelbar einen Bezug zwischen erbrachten Leistungen und Respekt herstellen, sollte jedoch nicht unter den Tisch gekehrt werden, daß ein Mensch schon kraft seiner Existenz einiges an Respekt und Würde verdient. Häufig macht es erst ein Grundrespekt dem Kind gegenüber möglich, daß es höhere respektierenswerte Leistungen erbringen kann. Für ein Kind, das gerade formal "versagt" hat, ist es da oftmals ganz besonders wichtig, weiterhin respektiert zu werden.
Eltern werden sich da mitunter schwer tun. Da hilft die Erinnerung daran, daß die Lebensleistung des jungen Menschen vermutlich noch nicht abgeschlossen ist. Auch sollte man nie vergessen, daß man an jeder Fehlleistung des eigenen Kindes einen mittelbaren Anteil hat - wie groß oder klein der ist, werden wir wohl kaum je selbst objektiv taxieren können.
Folgerichtig hieße das, wir dürften uns selbst vom Minderrespekt nicht ausschließen. Wahrscheinlich ist das sogar bei vielen Eltern, die ihre Kinder respektlos behandeln, unterbewußt der Fall. Zum Nachteil beider Seiten.
Es wird im Leben eines Kindes immer Personen und Instanzen geben, denen in einem bestimmten Bereich - dessen tatsächliche Grenzen es unbedingt zu reflektieren gilt - besondere Kompetenzen zukommen, wie etwa Polizisten, Lehrer oder eben auch Eltern.
Einem Kind wird es leichter fallen, diese Kompetenzen auch zu achten, wenn man sich in der Pflicht sieht, ihm deren Sinn plausibel zu machen. Und damit zwangsläufig auch den Geltungsbereich dieser Vollmachten.
Ein Lehrer genießt ohne Zweifel höhere Autorität, was die Gestaltung seines Unterrichtes anbelangt. Dennoch sollte es dessen Schülern möglich sein, in angemessener Form berechtigte Kritik an seinen eventuell unfairen Urteilen und erzieherischen Maßnahmen zum Ausdruck zu bringen. Schließlich bliebe einem Schüler ansonsten nichts anderes übrig, als den Frust über empfundene Ungerechtigkeit in sich hineinzufressen. Und der innerlich erniedrigte Schüler könnte sogar in Versuchung kommen, das anzuzweifeln, was er zu Recht für gut und richtig hält.
Die Möglichkeit, angemessen zu widersprechen, heißt letztlich für ein Kind, sich seiner selbst bewußt vertreten zu können. Was eben auch bedeutet: im Bewußtsein seiner tatsächlich gerechtfertigten Grenzen nach oben wie unten.
Es wird nie völlig ausbleiben, daß Eltern ihre "diktatorischen Vollmachten" nutzen und auch Entscheidungen fällen, von deren Sinn sie ihr Kind nicht vollständig zu überzeugen geschafft haben. Wie ja auch ein Vorgesetzter seinem Mitarbeiter gelegentlich Anweisungen gibt, die diesem nicht unbedingt einleuchten. Manchmal sind vielleicht ganz einfach die Kapazitäten der Eltern so weit erschöpft, daß man es als legitim empfinden kann, wenn sie einmal nicht bis ins letzte ihr Kind zu überzeugen versuchen.
Der Mindestrespekt der Eltern ihrem Kind gegenüber geböte es ihnen dann jedoch zumindest, sich ehrlich zu ihrem (bedingten) Unvermögen zu bekennen und auch klarzustellen, daß sie eine reale elterliche Vollmacht nutzen und damit nicht automatisch objektiv im Recht sind. Schon gar nicht sollten sie sich im nachhinein Erklärungen zusammensuchen, um den Eindruck zu erwecken, sie hätten sowieso jederzeit alles überschauen können. Was dem Kind schließlich auch das fälschliche (wie auch ungesunde) Gefühl übermitteln könnte - oder gar übermitteln soll, die Eltern hätten schon kraft ihres Standes immer recht.
Gelegentlich kommt es vor, daß Eltern sich wünschen, ihr Kind entschuldige sich für sein Verhalten. Wie kolossal respektlos wäre es dann wohl, das Kind zu dieser Handlung zu zwingen? Oder mit psychischem Druck dieses Verhalten so vehement zu suggerieren, daß sich das Kind letztlich gezwungen fühlt und die gewünschte Handlung ausführt, ohne deren Richtigkeit eingesehen zu haben - gegen heftigste innere Widerstände.
Dabei kann man bereits im Vorfeld dazu beitragen, daß diese Widerstände vergleichsweise klein bleiben. Indem man sich zum Beispiel selbst, wann immer es vielleicht angezeigt wäre, bei seinem Kind für eigene Entgleisungen entschuldigt. Man wird dafür sicher ohne Probleme genügend Anlässe finden.
Und wer würde wohl bei vollem Bewußtsein reinen Gewissens von seinem Kind Ehrenhaftigkeit verlangen wollen, die nicht einmal er selber bereit wäre vorzuleben?
Immer wieder werden wir Personen begegnen, die wir über die erwähnten 'primären' Formen von Respekt hinaus im Sinne von 'Aufschauen' respektieren: einen begnadeten Wissenschaftler, einen brillanten Rhetoriker, eine selbstlose Missionarin, einen bemerkenswert prinzipientreuen Menschen oder auch nur eine sehr gewissenhafte und umsichtige alleinerziehende Mutter.
Wollen wir anderen Menschen gegenüber rechtfertigen, warum gerade diesen Personen unser besonderer Respekt zukommt, dürfte uns - mitunter nach kurzem Nachdenken, in dem wir vielleicht auch den Geltungsbereich dieses Respektes näher eingegrenzt haben - dieses Vorhaben keine Probleme bereiten. Bei unreflektierteren Formen von Respekt - etwa vor dem Amt oder gegenüber dem Adelsstand - fiele uns das hingegen schwieriger.
Über das Grundmaß hinausgehender, 'sekundärer' Respekt hat, befreit man ihn von unreflektierten Ballast, offenbar sehr viel mit dem Gewahrwerden von Leistungen und Talenten zu tun und scheint viel eher inneren Normen des Respektierenden als äußeren Absolutwerten zu entspringen.
Das Nachvollziehen respektierenswerter Leistungen anderer Menschen kann sehr inspirierend sein und das eigene Weltbild in sehr belebender Weise ergänzen. Nicht zuletzt kann diese Inspiration den Respektierenden dazu beflügeln, sich selber die Werkzeuge zu erarbeiten, die es ihm möglich machen können, es dem Vorbild einst gleich zu tun.
Wird man sich dieser Umstände bewußt, so erscheinen wohl Kinder mit ihrem unzügelbaren Drang zu hinterfragen als besonders prädestiniert, in autonomer Weise angemessenen Respekt zu entwickeln. Wenn man dieses Talent nicht durch vorgelebten mangelnden Respekt und Schein- oder Doppelmoral außer Kraft setzt.
Denn das Selbstbewußtsein, das ein Kind benötigt, um das, was es zu Recht für gut und richtig hält, gegen unqualifizierte Widerstände zu verteidigen, muß es ja vielleicht erst noch (wieder)erlangen.
Und die Person, die am nötigsten des Respektes eines Kindes bedarf, wird immer das Kind selbst bleiben.
Ein Kind, dem über die
Behandlung durch seine wichtigsten Bezugspersonen das subtile Gefühl
vermittelt wird, nicht einmal eines Grundrespektes wert zu sein,
dürfte mitunter sogar Probleme haben, Moral und Verhalten zu
entwickeln, die einen solchen Respekt jemals nachträglich hätten
rechtfertigen können
(->self-fulfilling prophecy).
Und für einen Menschen ohne (bzw. mit geringer) Selbstachtung ist es vielleicht ja gar nicht so gesund, andere Menschen zu achten. Was dann ja hieße, dem als gering empfundenen eigenen Wert etwas scheinbar Unerreichbares gegenüberzustellen, was ihn in der relativen Wahrnehmung nochmals kleiner erscheinen ließe.
Darüber hinaus kann es für ein Kind, das gelernt hat, in autonomer Weise Respekt vor Qualitäten und Leistungen eines Menschen durch Gewahrwerden zu entwickeln, belebend und erhöhend sein, der Erfüllung eigener Ansprüche gewahr zu werden. Was schließlich auch Motivation dafür sein kann, die Ansprüche an sich selbst nach und nach mit Augenmaß anzuheben und sich letztlich zu einem immer "besser" werdenden Menschen zu entwickeln, der aller Achtung, die er durch andere Menschen erfährt, wert ist.
Dem es auch nicht schwerfällt, sich selbst zu achten.
Um frühere Beispiele wieder aufzugreifen:
Schon der erwähnte Sportler, der gelernt hat, auf zweite Plätze stolz zu sein, hat eine ungleich bessere Basis als vorher, mit sich selber zufrieden und seiner selbst bewußt zu werden.
Ein noch treffenderes Beispiel wäre allerdings der große Bruder, der weiß, daß er seinen kleinen Bruder nicht gegen alles auf der Welt verteidigen kann, der jedoch Mittel gefunden hat, seine Angst vor Konfrontationen mit Gewalt in sinnvollen Maßen abzubauen und so dem Kleineren in so mancher Situation viel besser beistehen kann, als man spontan vermuten würde. Der keinen formal-moralischen Grundsatz erfüllen will, sondern sich einfach seinem Bruder verbunden fühlt und weiß, was er dafür zu riskieren bereit wäre.
Das Entgegenbringen von Respekt anderen Menschen gegenüber wird sich schwerlich durch formale Grundsätze und Regeln steuern lassen; ist es doch primär Ausübung und Manifestation innerer Einstellungen, die im Idealfalle letztlich einem Automatismus zu entspringen scheinen. Ein Automatismus aber muß - sofern er nicht bereits im Urinstinkt verankert ist - in der Regel erst erlernt werden.
Viele Automatismen eignen wir uns bereits ohne großes kognitives Hinzutun durch Gewöhnung an, wie z.B. das Aufspringen beim Klingeln des Telefons. Mitunter auch solche, deren Sinn fraglich erscheinen muß, wie etwa die immer wieder beobachtete Vollbremsung eines Autofahrers bei gleichzeitigem Ausweichmanöver (was bekanntlich in der Regel zum Ausbrechen des Fahrzeuges führt und die Situation eher verschlechtert).
Will der Autofahrer beim nächsten Auftreten einer vergleichbaren Situation angemessener reagieren - etwa durch moderateres Bremsen während des Lenkvorganges oder eine getrennte Abfolge von Brems- und Ausweichvorgang - so wird er nicht umhin kommen, sich diesen Automatismus anzukonditionieren - zum Beispiel im Sicherheitstraining.
Zwar findet der eigentliche Automatismus im Geiste statt. Er dürfte sich jedoch dem Autofahrer, der sich im Training in die Fahrphysik seines Autos tiefer eingefühlt hat, von selbst einstellen. Die durch praktische Erfahrungen untermauerten physikalischen Grundsätze gehen sprichwörtlich in Fleisch und Blut über.
Komplexer wird es allerdings, will sich ein Mensch einen rein kognitiven und auch grundsätzlicheren Automatismus aneignen - wie eben den respektvollen Umgang mit anderen Menschen, insbesondere mit Kindern. Denn sein bisheriger Umgang mit Kindern dürfte in der Regel auf einem nahezu unüberschaubaren Geflecht von impliziten Verhaltensgrundsätzen und -routinen fußen, die ihm sein bisheriges Leben (wie nicht zuletzt die eigene Erziehung und Sozialisation) beigebracht zu haben scheint und die er sich vielleicht ohne eigenes Wissen oder sogar gegen den eigenen Willen jahrelang antrainiert hat.
Man wird nicht umhin kommen, zunächst selber nach Manifestationen seiner bisherigen Einstellungen zu suchen und diese immer wieder kritisch zu hinterfragen, um auf lange Sicht überhaupt die Möglichkeit zu haben, zu neueren (besseren) Überzeugungen zu kommen, die es schließlich in Fleisch und Blut zu überführen gilt.
Dabei kann es sehr hilfreich sein, sich die schwerwiegenden Folgen, die unsere bisherigen Erziehungsgepflogenheiten für unser Kind haben könnten, vor Augen zu führen.
Ein Kind, das an geringem Selbstwertgefühl leidet, bietet seinen Eltern wohl genug Grund, ihre scheinbar unbedenklichen Umgangsformen zu hinterfragen und modifizieren. Allerdings ist ein Kind mit diesem Problem nicht immer so leicht zu erkennen wie ein im Straßengraben gelandetes Auto.
Man wird selber nach Anzeichen suchen müssen.
Bei genauem Hinsehen werden wir durchaus Hinweise darauf finden, wenn unser Kind an mangelndem Respekt und geringer Selbstachtung leidet. Meistens jedoch sind das gerade nicht offener Protest und Lautstärke, sondern vielmehr das Gegenteil: Demut, Apathie und Sprachlosigkeit.
Das geht, rein äußerlich betrachtet, mitunter sogar mit Verhaltensweisen einher, wie sie sich Eltern aktiverer - um nicht zu sagen "aufsässigerer" - Kinder oftmals wünschen - zumindest für den Moment.
Was sich statistisch deutlich weniger Eltern wünschen dürften, ist ein Kind mit negativem Lebens- und Selbstwertgefühl, das wohl auch in Zukunft zu gehemmt sein wird, um je seine Talente wirklich angemessen nutzen zu können.
Ein Kind, das seine Seele auf der Zunge tragen kann, scheint da auf den ersten Blick zwar anstrengender, hat jedoch auch viel Beruhigendes an sich. Das stille, gehemmte Kind hingegen nervt uns zwar nicht im direkten Umgang, sollte uns indes umso hellhöriger werden lassen. Wenn wir unserer Aufgabe wirklich gerecht werden wollen, kann ein solches Kind auf lange Sicht oft viel mehr Anstrengung bedeuten - und rechtfertigen.
Bevor man in sein Kind herein gehört hat, wird man sich nicht beruhigt zurücklehnen können. Das Recht, angehört und ernst genommen zu werden, steht schließlich nicht nur selbstbewußteren Kindern zu. Wenn ein Kind es also nicht schafft, das zu ergründen, was es belastet, fällt diese Arbeit wohl den Eltern zu. Und damit oft auch die nicht ganz so dankbare Aufgabe, eigene Fehler aus dem Vorfeld zu entdecken.
Es wird genug Anlässe geben, zu überprüfen, ob die Grundeinstellung dem Kind gegenüber von angemessenem Respekt getragen wird. Schon in der Anrede und der belangloseren Kommunikation kann man sich die Frage stellen: Kommuniziere ich mit dem Kind anders als mit einem Erwachsenen? Ist dieses der Fall (was noch nicht von vornherein unangemessen sein muß), so frage man sich, ob tatsächlich alle dieser Unterschiede gerechtfertigt sind. Oder ob nicht vielleicht schon hier dem Kind ein geringerer Respekt vermittelt wird.
Auch in der Auswahl und Formulierung von Anliegen, die ein Erwachsener einem Kind entgegenbringt, wird er nur zu oft Anzeichen von mangelndem Respekt erkennen können.
Wer sich dabei ertappt, daß er innerlich über die Existenz seines Kindes flucht und seinen Nachwuchs als Belastung empfindet, hat hinreichend Anlaß, seine Position zu überdenken. Denn schließlich ist es nicht das Kind, das ihm die Aufgaben aufbürdet. Vielmehr sind Aufgaben der Kindeserziehung ja Bestandteile einer Verantwortung, zu der man sich selber bereit erklärt hat. Und vieles spricht dafür, sich dieser Verantwortung immer wieder im positiven bewußt zu werden und sich selbst in die Pflicht zu nehmen.
Die Pflichten von Eltern ihren Kindern gegenüber werden immer von großer Tragweite sein. Auch und gerade dann, wenn die Eltern bestrebt gewesen sind, sich diese Pflichten reflektiert und bewußt selber aufzuerlegen. Als Anforderungen einer Verantwortung eines Erzeugers seinem Nachwuchs gegenüber. Und Verantwortung ist etwas, was ein Mensch eher fühlt denn sich kausal beimißt.
Eltern werden sich letztlich umso verantwortlicher fühlen, je klarer sie sich machen, was für enorme Möglichkeiten sie haben könnten, die Lebensumstände und Perspektiven ihres Kindes positiv zu beeinflussen.
Es kann sich für einen Menschen indes mitunter schwierig gestalten, das, was er glaubt, als seine kategorisch existierenden Pflichten einordnen zu können, von Bestandteilen zu trennen, von denen er im Grunde nur annimmt, die Außenwelt verlange sie von ihm. Zumal er ja auch fürchten könnte, von Außenstehenden der Vernachlässigung seiner Pflichten überführt (oder gar angeklagt) zu werden.
Viele Väter und Mütter kommen so, ohne es zu merken, in Versuchung, sich für manche noch so kleine Erziehungsmaßnahme - oder gar das scheinbare "Produkt" ihrer Erziehung - Dritten (wie z.B. Nachbarn oder Freunden) gegenüber rechtfertigen zu wollen.
Gerade hier stellt sich allerdings die Frage, ob ein sich seiner selbst und seiner Ansprüche und Ziele bewußter Mensch wirklich von außen angreifbar ist, wenn er sein Möglichstes gegeben hat und weiterhin gibt. Um einen Vergleich zu bemühen: Ein undogmatischer, aber wirklich überzeugter Christ, Kommunist oder Vegetarier wird sich kaum scheuen, seine Überzeugung nach außen kundzutun. Noch weniger wird er sich aber in vorauseilendem Gehorsam für Angriffe rechtfertigen, die noch gar nicht erfolgt sind.
Ein "Anforderniskatalog" wird sicher niemals angemessen einem Menschen seine Pflichten zuordnen können, denn eine jede Pflicht wird abhängig davon sein, was tatsächlich erforderlich ist und erfüllt werden kann. Und das kann individuell sehr verschieden ausfallen.
Jede Mutter eines einbeinigen Kindes wird von vornherein mehr Zeit für dieses Kind veranschlagen. Sie wird sich aber auf der anderen Seite nicht als Rabenmutter fühlen, wenn sie ihm den Traum vom Snowboardfahren nicht erfüllen kann.
Ein Vater hingegen, dessen vierzehnjährige Tochter in den Drogensumpf abgerutscht ist, kann sich eigentlich nicht wirklich in dem Bewußtsein zurücklehnen, er habe alles getan, was in seiner Macht steht - selbst dann nicht, wenn er in der Tat beachtenswert viel geleistet hat. Denn auch dann bliebe ihm mitunter ja noch immer die Möglichkeit, Auswege aus dem Unglück zu ersinnen und auch weiterhin alles zu tun, was in seinen Kräften steht.
Auf der anderen Seite wäre es hier wohl wenig dienlich, sich selbst zu blockieren, indem sich der betreffende Vater an den Pranger stellt (oder dorthin gestellt sieht). Schließlich spielt in solchen Situationen immer auch Pech eine Rolle und er hat vielleicht gerade durch diese Umstände noch die Gelegenheit, Beachtlicheres zu leisten, als es den meisten Eltern (glücklicherweise) jemals vergönnt sein wird.
Dieser potentiellen (oder irgendwann erfolgten) Leistung sollte er sich im positiven bewußt sein (oder werden).
Und selbst unter gleichberechtigten Freunden (oder Geschwistern), die sich zerstritten haben, kann es unter Umständen weder auch nur einem von beiden dienlich noch wirklich angemessen sein, wenn derjenige, der nach objektivem Standpunkt vielleicht tatsächlich im Recht gewesen sein mag, jedes weitere Zugehen auf den anderen mit ebendieser Begründung verweigert.
Hat er nämlich die Möglichkeit, den ursprünglichen Streit zumindest partiell zu klären - eine Möglichkeit, die dem anderen vielleicht nicht offensteht - könnte er es sich ja schließlich auch zur Pflicht machen, diesen Beitrag zu leisten.
Das, was in der Erziehung nötig ist, wird sowohl von Kind zu Kind als auch im Laufe eines jungen Lebens stark variieren. Das, was möglich ist, ist überdies noch vom Vermögen des Erziehers abhängig - und das ist immer wieder ausbaufähig.
Nehmen sich Eltern wirklich ihrer Verantwortung an, so werden sie oft feststellen, daß auch in ausweglos erscheinenden Situationen noch einiges bleibt, was sie tun können. Und wenn das für den Moment einmal wenig erscheinen sollte, so kann ihrem Gewissen nur das Bewußtsein helfen, die Suche nach neuen Wegen nie aufgegeben zu haben.
Einem wesentlichen Kern der Verpflichtung einander eng verbundener Menschen füreinander haben sie dann bereits Genüge geleistet, nämlich sich gegenseitig nach Kräften zu unterstützen.
Läßt man alle dargelegten Gedanken einmal Revue passieren, so scheint sich ein Königsweg nicht abzuzeichnen - und er wäre wohl auch nicht real praktizierbar.
Wer sich gewissenhaft und nach Kräften in die Verantwortung nimmt und es nie verlernt, in sein Kind hineinzuhorchen, wird gute Chancen haben, auf lange Sicht das Richtige getan zu haben.
Angemessen kann es da ganz einfach sein, daß ein realer Mensch auf dem Stand in die Erziehung einsteigt, auf dem ihn seine bisherige Sozialisation zurückgelassen hat und in Wechselwirkung mit dem Kind in immer wieder hinterfragender Weise unermüdlich nach dem sucht, was wirklich angemessen ist.
Auf jeden Fall wird es hilfreich sein, dem Kind respektvoll entgegenzutreten und ihm auch Raum zu lassen, eigene Antriebe zu entwickeln und autonom zu Erkenntnissen und Überzeugungen zu gelangen, die es ihm schließlich erst ermöglichen, zu einem selbstbewußten und mündigen Menschen heranzureifen. Einem Menschen, der seine Überzeugungen selbst erarbeitet und dadurch nicht zuletzt auch die Möglichkeit hat, sich selbständig Vorbilder zu suchen, die diesen Status auch rechtfertigen. Was auch damit zu tun hat, daß ihr Status keine Allgemeingültigkeit hat.
Die Rolle, die den Eltern als Moderatoren dabei zukommt, die durch die richtigen Impulse diese Konvergenzvorgänge begleiten, das Kind immer wieder mit Augenmaß zu neuerlichen Entdeckungen inspirieren und es aus dessen eigenen Motiven heraus zu motivieren verstehen; die sich selbst auch nicht ernster nehmen, als angemessen scheint, ist anspruchsvoll genug. Und wird wohl auch nie völlig fehlerfrei ausgefüllt werden.
Sicher wird das eine oder andere nicht so hinhauen, wie man es sich vielleicht vorgestellt hat. Manche Dinge haben eben auch mit Glück und Pech zu tun. Und das gilt nur zu oft auch für die Qualität, wie gut Eltern ihr Kind verstehen und von ihm verstanden werden.
Manchmal bleibt nichts anderes übrig, als nach neuen Wegen weiterzusuchen.
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Die Erziehung der eigenen Kinder ist vielleicht die anspruchs- und verantwortungsvollste Aufgabe, der sich ein Mensch in seinem Leben zu stellen hat. Über Jahrzehnte hinweg muß er immer wieder Mühen auf sich nehmen und so manche Entbehrung ertragen. Und immer wieder wird er erkennen müssen, daß er sich hier und da verschätzt hat. Wird an sich selber arbeiten müssen und ständig dazulernen, als wäre er selbst noch ein Kind.
Immer wieder nimmt man sich neu in die Pflicht, ohne je mit einer Gegenleistung rechnen zu können. Und hier täuscht man sich vielleicht.
Ist nicht schon die Freude, die es jeden Tag bedeuten kann, einen jungen, von Woche zu Woche und Jahr zu Jahr voranschreitenden Menschen zu begleiten; seine Lebendigkeit zu erleben und sein Vertrauen zu genießen, einer der sinnstiftendsten Antriebe des Lebens?
Doch steht überdies eine noch viel langlebigere Gegenleistung in Aussicht:
Das Bewußtsein, bei der Entwicklung eines selbständigen, mündigen und selbstbewußten Menschen, der optimistisch in die Zukunft blicken läßt, maßgeblich mitgewirkt zu haben; der sich vielleicht sogar irgendwann einmal dankbar dieser Leistung bewußt sein wird.
Und das dürfte den meisten Eltern genügen.
Wenn sie dessen nur gewahr werden.
...und oftmals stellt' ich mir die Frage
Was Dich bedrückt an manchem Tage
Was manchmal wie ein Totenlied
so tief in Deinem Herzen weint
Dich tonnenschwer zu Boden zieht
von innen aufzufressen scheint.
Dann werd ich wach und frag den Wind
des Nachts, ob Dir wohl klar ist schon
Daß viele Menschen bei Dir sind
für die Dein Sein genug wär Lohn
Die auch, wovon noch nichts zu sehen
Dich eines Tages doch verstehen.
Und was die Zukunft auch verheißt
So frag ich mich, ob Du wohl weißt
Wie schön die Welt geworden ist
Seit Du auf ihr zugegen bist.
Und weiterhin im Herzen trag' '
Den Wunsch, Du schliefest weiterhin
mit Freude auf den nächsten Tag
Das wär mir schon genug an Sinn.
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