Vogellektüre
Marga Behrend ©
21.11.2003
Ein Buchfink las sein Lieblingsbuch,
das über diesen Vogelfluch,
wie heißt es gleich, ein Finkelstein
muss dort im rechten Winkel sein
zum himmelhohen Finkennest,
dort, wo der Wind am schärfsten bläst.
In Einsamkeit späht dort ein Fink
nach einem heil’gen Himmelswink,
dann legt den Kopf er schräg und startet,
weil ihn ein Monster schon erwartet,
das gibt nur vor, ihm wohl zu wollen.
Der Fink hätt’ nämlich tunlichst sollen
dem Monster schlicht zur Speise dienen.
Der Fink ruft:“Herr, ich hasse Ihnen!“
So flötet er mit lautem Ping
und klaut dem Monster seinen Ring.
Der Buchfink schließt erschöpft die Schwarte.
S e i n Ring stammt von der Vogelwarte.
Dem
Virtuosen
Marga
Behrend © 14.11.2002
Töne pflückst du aus den Zweigen,
streust sie zärtlich vor mir aus,
lässt sie schwellen, heißt sie steigen,
schneiderst ein Gewand daraus.
Für mein Haar wählst du piano,
flichst noch bunte Bänder drein,
brausend hüllst du im glissando
alle meine Sinnen ein.
Ach, dies Kleid ist gar so flüchtig,
sieh doch meine bloße Haut
ist nach Klanggewändern süchtig
dir ergeben anvertraut.
Briefroman
Marga
Behrend © 27.01.2004
Jüngst las ich einen Briefroman,
der fing mit „Sehr geehrte“ an
und endete mit „Dumme Sau“.
Ich werde daraus nicht recht schlau,
die Frau ist doch noch Mensch gewesen,
nachdem das Buch ich ausgelesen.
Wieso ist sie zum Tier mutiert?
Welch Schrecknis hat dazu geführt?
Zuerst schrieb er, du Holde, Schöne,
von deinem Haar nur eine Strähne
erbitt ich mir. In Lieb entbrannt
hat mich mein Herz jetzt übermannt.
Und dann am Ende, welche Pein!
Die Frau wird niemals ihm verzeihn,
so hoff ich hier mit freiem Mute,
sonst ist sie eine dumme Pute.
Abdul
10 Jahre
Marga
Behrend © 10.05.2003
Du großer Gott,
Du hast mir ein Auge genommen,
aber das andere hast Du mir gelassen.
Sei gepriesen. Sei gepriesen.
Du hast mir ein Bein genommen,
aber das zweite hast Du mir gelassen.
Sei gepriesen. Sei gepriesen.
Du hast mir meinen Vater
und meine Mutter genommen.
Aber meine kleine Schwester
hast Du mir gelassen.
Du weißt, was für jeden gut ist.
Sei gepriesen. Sei gepriesen.
Wenn Du auch weißt,
was für jeden gut ist,
so bitte ich Dich doch,
Du großer Gott,
lass meine kleine Schwester
bei mir!
Wenn ich noch größer bin,
werde ich für Dich kämpfen,
Du großer Gott,
für Dich werde ich sterben
und bei Dir sein im Paradies.
Du großer Gott.
Sei gepriesen. Sei gepriesen.
Weg
zum Ruhm
Marga Behrend ©
11.10.2003
Nicht muss ein jeder Meilenstein
Beginn zu steilem Eilen sein.
Ein Mann zu Fuß auf Reiterwegen
kann rüstig sich stets weiter regen.
Von Ferne winkt die Siegertorte.
Er kämpft wie jene Tigersorte,
die jüngst geerntet wieder Lob.
Zum Ruhme man ihm Lieder wob.
Abschied
Marga Behrend ©
29.10.2003
Die Wege sind dir zugebogen,
verkürzen sich jetzt Schritt um Schritt,
und allen Leidens überhoben
nimmt dich der Frühwind leichthin mit.
Du hast dich aus dem Zeitgelände
herausgelöst, hinweggewandt.
Als ob sie keinen Halt mehr fände,
ruht unbemüht die bleiche Hand,
in ihrer Zartheit fest entschlossen,
jetzt reglos träumend auf der Brust
von sanftem Frieden übergossen,
trägt meinen Kuss schon unbewusst.
Bedenke
das Ende
Marga Behrend
© 27.09.2003
Zwei Aale hatten sich geschieden,
sie sich nunmehr minütlich mieden.
Ja, früher sahen sie sich stündlich.
Jetzt wanderten sie viertelpfündlich
in diese und in jene Tüte.
Wie sehr man sich nun auch bemühte,
zu spüren wieder Wang’ an Wange
den andern auf der Räucherstange,
zu spät kam diese Rückbesinnung
auf die gemeinsame Bestimmung.
Sie seufzten, könnt’ es doch geschehn,
den letzten Gang vereint zu gehn.
Der Wunsch war ihnen nun versalzen.
Zwei Katzen bei den Resten schnalzen.
Einverständnis
Marga Behrend ©
29.09.2003
Das Grün entweicht behutsam leis,
der Baum gibt sich dem Herbste preis,
ertrinkt in gold und rot , nur kaum
hält diese Pracht er noch im Zaum.
Er schüttelt sich im Abschiedskleid
und weiß den Winter nicht mehr weit,
winkt leuchtend nach den Drosseln, Staren,
die Blätterkinder lässt er fahren,
ihm seine Wurzeln zu bedecken.
Viel stiller wird es in den Hecken,
kein Zirpen und kein Froschgequake,
Libellen nicht mehr bei der Lake,
die neben ihm noch ahnungslos,
geschützt umsäumt von weichem Moos,
nicht aufhört, Sonnenlust zu träumen.
Er stört sie nicht, ihr Überschäumen
durchlichtet ihm die kühlen Tage,
als Trost kurz vor der Winterplage.
Verzweiflung
Marga Behrend ©
06.01.2004
Was macht das Reh
im tiefen Schnee?
Es friert an seinem linken Zeh.
Und warum nicht an seinem rechten?
Weil’s keine Reime fertig brächten,
ihm dorthin eis’gen Frost zu senden.
Drum muss das Textlein hiermit enden.
Der Reimeschmied rauft sich die Haare,
er hat noch zwei ganz wunderbare.